Bedingungsloses Grundeinkommen zu verschenken!

Video-Still aus: KREDIT #6 // Kettenfilm Wacław Misiewicz // Bytom 2010

Wie fühlt es sich an, Geld von vielen anderen Menschen geschenkt zu bekommen, eintausend Euro jeden Monat, ein Jahr lang, und zwar als bedingungsloses Grundeinkommen? Wie ist das, sich von einer Vertrauensgeste vieler einzelner Menschen getragen zu wissen, die mit kleinen oder großen, aber immer freien Spenden mir ein Einkommen und damit ein Lebensauskommen verschaffen? Und was bedeutet es, in einer Fremdversorgergesellschaft – in der wir ja aufgrund der Arbeitsteilung schon lange leben -, ganz real und tatsächlich von anderen Menschen bedingungslos frei gestellt zu werden, damit ich mich der eigenen selbstgewählten Arbeit genauso bedingungslos widmen kann? Ist es überhaupt möglich, eine solche geschenkte Freiheit, die Lust auf Selbstverwirklichung und die Selbstverpflichtung den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten gegenüber auch mit der Bedürftigkeit und den Bedürfnissen andere Menschen in Einklang zu bringen?

Mit etwas Glück kann einer von uns das alles demnächst selber ausprobieren!

Schon vier solcher bedingungloser, auf freien Spenden basierender Grundeinkommen wurden vergeben. Nun ist das fünfte dran: 12.000 Euro, über zwölf Monate verteilt, sind zu verschenken! Michael Bohmeyer, der selbst durch eine Beteiligung an einem Internetunternehmen so etwas wie ein monatliches Grundeinkommen bezieht, wollte auch anderen diese Erfahrung ermöglichen und hat das Projekt Mein-Grundeinkommen.de gegründet. Auf Startnext werden seit Juli Spenden gesammelt für jeweils ein bedingungsloses Grundeinkommen von tausend Euro pro Monat, das dann per Los an eine Person vergeben und ein Jahr lang ausbezahlt wird.

Mittlerweile läuft die Spendenkampagne schon für das sechste Grundeinkommen. Das fünfte, das bereits ausfinanziert ist, wird jetzt am Samstag, den 15. November, abends in Berlin verlost. Wer mitmachen und sein Glück versuchen will, muss sich lediglich hier registrieren, und zwar bis spätestens morgen Freitag Abend. Dann nimmt man an der Verlosung teil.

Das klingt alles ganz nach Lotto, könnte man meinen. Nur, dass man hier nix zahlen muss für die Teilnahme. Und die Chancen auf den Gewinn liegen (bis jetzt noch) auch ungleich höher: Gerade einmal knapp 16’000 Menschen wünschen sich aktuell in der fünften Runde, ein bedingungsloses Grundeinkommen ausprobieren zu können, und haben sich registriert. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass das Geld geschenkt ist, einfach so. Und was man alles damit machen könnte innerhalb eines Jahres, oder?

Nun, dafür ist ja auch der maximale Gewinn hier im Vergleich zum Lotto eher bescheiden. Und geht es denn letztlich wirklich nur ums Geld, wie es z.B. Jule in ihrem Kommentar auf der Facebook-Seite von Mein-Grundeinkommen.de suggeriert? Sie schreibt: „Ich bin 35 Jahre und jedes mal dabei. Irgendwann muss es doch mal klappen und dann beginnt ein neues Leben.“

Ob aber dieses „neue Leben“ für Jule im Geldregen dann auch das wahre Leben sein wird, das sie sich heute nur herbeisehnt? Hoffen wir es! Die Erfahrung vieler glücklicher Lottogewinner, die im Unglück endeten, und auch die empirischen Ergebnisse der Glücksforschung sprechen allerdings eher dagegen. Und zeigt nicht gerade die Tatsache, dass so viele Menschen offenbar sofort bereit sind, ohne jede Gegenleistung Geld zu spenden, einzig im Vertrauen darauf, dass der glückliche Empfänger gerade aus dieser Freiheit heraus das Richtige für sich – und damit auch für uns alle – tun wird, zeigt diese Tatsache nicht ganz deutlich, dass es eben nicht nur ums Geld geht? Dass es eigentlich beim Grundeinkommen überhaupt nicht ums Geld geht?

Ja, worum sollte es denn gehen, wenn nicht ums Geld?

Vielleicht darum, dass heute niemand mehr für sich etwas leistet, sondern immer für andere arbeitet. Und dass jeder von uns im Gegenzug für seine Existenz auf die Leistungen der anderen angewiesen ist. Und darum, dass Freiheit in dieser gegenseitigen Abhängigkeit nur möglich ist, wenn wir das Geben und Nehmen mit einer Geste des Vertrauens, der gegenseitigen Achtsamkeit und der Zuwendung verbinden.

Das Grundeinkommen: es ist eigentlich ein bedingungsloser Grundkredit, den wir uns da gegenseitig einräumen. Kredit kommt ja vom lateinischen credere und bedeutet: glauben, anvertrauen, Vertrauen schenken. Ein bedingungloser Grundkredit, der nicht zurückgezahlt werden muss. Eine Schenkung also.

Video-Still aus: KREDIT #6 // Kettenfilm Wacław Misiewicz // Bytom 2010
Sein Geld nicht auf die Bank sondern direkt zu den Menschen tragen: Wacław Misiewicz im Kettenfilm KREDIT #6, Bytom 2010

Geld an sich hat keinen Wert. Es steht bloß für die Fähigkeiten von uns allen, füreinander – und damit auch für uns selbst – einstehen und sorgen zu können, kreativ sein und das Lebensnotwendige materiell und immateriell schaffen zu können. Geld ermöglicht das. Es vermittelt zwischen dem Befähigen und Ermöglichen einerseits und dem Bedürfen andererseits.

Damit das Grundeinkommen jenseits vom Lottogewinn-Denken gelingen kann, braucht es also nicht nur die geschärfte Wahrnehmung für das, was ich für mich möchte und kann, sondern auch für das, was die Bedürfnisse der Anderen sind und was Not tut. Erst so erweitert sich das bedingungslose Grundeinkommen zur bedingungslosen Arbeit für andere und entfaltet sein oft genug beschworenes Befreiungspotential für den einzelnen. Erst dann stimmt die Sache nicht nur individuell sondern auch gesellschaftlich.

Das ist gewiss nicht einfach. Ich weiß aus eigener Erfahrung gut genug, wie schnell man sich in eigene Ideen oder Wünsche verlieben und dadurch blind werden kann für sachlich Notwendiges oder die Bedürfnisse der anderen. Gerade als Künstler läuft man doch schnell mal Gefahr, sich selbst und seine Projektchen manchmal etwas zu wichtig zu nehmen… Das bedingunglose Grundeinkommen, als bedingungsloser Grundkredit und damit als Schenkung verstanden, kann aber gerade zu einer sozialen Wahrnehmungsübung werden, die es braucht, um die Klippe der übermäßigen Selbstbezogenheit bewusst und aus innerer Freiheit und persönlicher Einsicht in den Gesamtzusammenhang, in dem ich stehe, zu umschiffen. Dann löst sich die Lohnsklaverei vielleicht sogar fast wie von selbst allmählich in Luft auf. Weil wir sie einfach nicht mehr brauchen.

Und bei dieser wunderbaren Geste des freien, vertrauensvollen Gebens und Nehmens, die dann entstehen kann, liegt meiner Meinung nach auch der prinzipielle Unterschied zum Lotto. Das zeigt sehr schön das Experiment von Mein-Grundeinkommen.de. Hier wird niemand mit einem minimalen finanziellem Einsatz maximalen Geldgewinn machen können. Eher schon mit minimalem Geldeinsatz ein großes Vertrauensgeschenk und damit einen maximalen sozialen Gewinn, bzw. ohne jeden Einsatz und dank eines materiellen Vertrauensvorschusses einen wunderbaren Gewinn an Selbstermächtigung zum Produktivsein und Weiterschenken der eigenen Potentiale. Keine echte Kreativität, kein freies Weitergeben ohne freies Schenken. Davon sprechen auch die Kommentare der Spender und die Rückmeldung der Beschenkten, z.B. von Christoph, dem Gewinner des zweiten Grundeinkommens.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass alle bisherigen Grundeinkommens-Experimente – zumindest soweit ich sie kenne – immer aus der Initiative einzelner Menschen hervorgegangen sind und getragen wurden durch freie Spenden. Das gilt sowohl für den zweijährigen Feldversuch in Otjivero, Namibia, als auch für das seit 2008 andauernde Grundeinkommensprojekt in Quatinga Velho, einem kleinen Dorf in der Nähe von Sao Paulo, inititiiert von dem jungen Pärchen Bruna und Marco. Und das gilt schließlich auch für „Arbeit sucht Einkommen“, dem Experiment einiger Leute auf dem Gutshof Hugoldsdorf (Mecklenburg-Vorpommern), die sich vor allem für soziale Bildungsarbeit, die sonst nicht geleistet würde, selbst ein Grundeinkommen organisiert haben. (Auch das Kreditprojekt ist übrigens erst durch ein kleines, temporäres und selbstorganisiertes Grundeinkommen aus Spenden, Fördergeldern und Schenkungen möglich geworden). Nur die Ölrente in Alaska macht da eine gewisse Ausnahme. Immerhin wurde sie aber durch eine Volkabstimmung beschlossen.

Liegt das mit dem freien Spenden nicht ganz in der Logik des Grundeinkommens selbst? Die Frage ist doch, ob ein staatliches Grundeinkommen, finanziert über „Zwangsschenkungen“ in Form von Steuern, nicht wiederum die gegenseitige, freie soziale Wahrnehmung unserer Bedürfnisse und Fähigkeiten erschwert wenn nicht sogar verhindert? Wie soll auf der Basis von zwangsweise erhobenen Geldzahlungen das Freiheitsmoment des Grundeinkommens wirksam werden können? Wer zahlt schon gerne Steuern an einen ziemlich abstrakten, anonymen Staat? Und wie verantwortungslos, bindungslos wird dann oft mit den Steuergelden umgegangen? Warum eigentlich? – Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Praxis des Steuerzahlens historisch u.a. aus Kriegsabgaben und Tributzahlungen unterworfener Völker hervorgegangen ist (vgl. z.B. Graeber 2011: S. 66, 70, 187, 335). Mag sein, dass wir das da heute noch ein bisschen fühlen, wenn es ans Steuernbegleichen geht…

In der Schweiz soll dank einer erfolgreichen Volksinitiative bald schon mal über ein solches staatlich finanziertes Grundeinkommen abgestimmt werden. Mein-Grundeinkommen.de geht dagegen den jetzt schon möglichen Weg durch freie Spenden, der vielleicht auch der sachgemäßere ist.

Also, bewerbt und registriert euch für die Verlosung. Und spendet am besten auch gleich noch was. Denn beides, das richtige Schenken als auch das rechte Sich-beschenken-lassen will geübt sein…

Ein Gedanke zu „Bedingungsloses Grundeinkommen zu verschenken!

  1. Die Überlegungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen sind sicherlich nicht schlecht, aber für die Umsetzung müsste doch noch einiges mehr passieren. Grundsätzlcih sehe ich das ganze aber als sehr positiv an, denn ein BGE würde vielen endlich wieder mehr Lebensqualität bieten.

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